Heute findet man die Franzstraße in unmittelbarer Nachbarschaft zum Bochumer Ring und nur wenige Minuten fußläufig von der Innenstadt entfernt.
Die Wohngebäude in der Franzstraße wurden kurz nach der Jahrhundertwende (nach 1900) erbaut, und sind heute nicht mehr im Original erhalten. In den Adressbüchern Bochums wird die Franzstraße mit der Hausnummer 11 erstmals im Jahre 1905 aufgeführt. Die Mieter*innen des Hauses in der Franzstraße 11 waren von Beginn an Mitglieder des gehobenen Bürgertums, v.a. Kaufleute und Bankdirektoren. Im Jahre 1924/25 bekam das Haus einen neuen Eigentümer: Julius Seidemann.
1939 wird Julius Seidemann nicht mehr als Eigentümer des Hauses aufgeführt – sein gesamter Besitz war am 17. Januar 1939 beschlagnahmt worden, er selbst wurde am 24. Juni desselben Jahres ausgebürgert und sein Eigentum fiel somit an das Deutsche Reich. Auch ist im Jahr 1939 ein Austausch der Bewohner*innen nachvollziehbar, der 1940 als abgeschlossen bezeichnet werden kann. Das Haus in der Franzstraße 11 war zu einem sogenannten „Judenhaus“ geworden, in dem 1940 zehn Parteien, bestehend aus 18 Personen lebten. Laut Angaben aus dem Adressbuch der Stadt Bochum lebten im Jahre 1942 keine Juden mehr in dem Haus, das Gebäude war „arisiert“ worden. Einige Schicksale der Bewohner*innen der Franzstraße 11 werden im Folgenden kurz geschildert.
Hugo Freudenberg hatte zunächst Jura studiert, und 1913 seine Anwaltszulassung erhalten. In den Jahren 1915 bis 1918 leistete er Kriegsdient, und wurde als Frontkämpfer mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet. Hugo und Martha Freudenberg heirateten am 25. November 1919, zwei Jahre später wurde ihr Sohn Gert geboren. Im Jahre 1924 wurde Hugo Freudenberg außerdem zum Notar ernannt. Als ehemaliger Frontsoldat fiel Freudenberg unter die Ausnahmeregelung des 1933 erlassenen „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, und konnte somit vorerst weiter als Anwalt und Notar arbeiten. In den Jahren 1935 und 1938 zwangen neue diskriminierende Anordnungen und Verordnungen Freudenberg dazu, seinen Beruf aufzugeben. In der Reichspogromnacht vom 9. Auf den 10. November wurden das Haus der Freudenbergs stark verwüstet, und Hugo und sein Sohn Gert in das KZ Sachsenhausen gebracht. Hugo Freudenberg wurde nach seiner Entlassung in das Gefängnis in Dortmund gebracht, in welchem er vom 11.1.1939 bis zum 27.1.1939 inhaftiert war. Unmittelbar danach begangen die Freudenbergs ihre Emigration zu planen. Immer wieder kam es zu Verzögerungen. Nachdem Cuba seine Grenzen vorübergehend gesperrt hatte, bemühte sich Hugo Freudenberg um Visen für Chile. Ihr Haus am Kaiserring 23 hatten sie im Juni 1939 verkauft, hatten allerdings noch ein Wohnrecht von vier Monaten bevor sie das Haus endgültig aufgeben mussten. Ab dem 5. Oktober 1939 waren die Freudenbergs in der Franzstr. 11 gemeldet, in der sie eine Wohnung in der ersten Etage bezogen hatte. Am 27. Januar 1942 wurde das Ehepaar Freudenberg, gemeinsam mit 70 weiteren jüdischen Bochumer*innen, über Dortmund nach Riga deportiert, ihr Schicksal ist ungeklärt. Nach dem Krieg, am 8. Mai 1945 wurden sie für tot erklärt.
Hermann Baruch war ein stadtbekannter Kaufmann, davon zeugen einige Zeitungsartikel aus den Jahren 1901 bis 1930. Bereits seit dem Jahr 1907 lebte Hermann Baruch in dem Haus in der Franzstr. 11, zunächst mit seiner ersten Ehefrau, ab 1920 mit seiner zweiten Frau Helene geb. Dammann. Die Eheleute Baruch wurden in der ersten Hälfte des Jahres 1942 nach Theresienstadt deportiert, man hatte ihnen zuvor erzählt sie würden in ein Altersheim gebracht werden. Hermann Baruch starb am 11. Dezember 1942 in Theresienstadt an Entkräftung. Seine Frau Helene wurde im Januar 1943 weiter nach Ausschwitz deportiert, wo sie ermordet wurde.
Leo Seidemann, der Bruder des bereits zuvor erwähnten Julius Seidemann, und dessen Frau Else hatten eigentlich nach Chile auswandern wollen. Die Visen hatten sie zwar bekommen, Else Seidemann litt aber unter Kalkmangel und eine Reise diesen Ausmaßes war Ende 1939 für sie nicht möglich gewesen. Chile hatte währenddessen die Einreise gestoppt und so hoffte das Ehepaar Seidemann nun auf eine Ausreise in die USA. Die Einreiseerlaubnis für die Seidemanns kam zu spät, am 23. Oktober 1941 hatte die deutsche Regierung Ausreiseverbote für Juden verhängt. Leo und Else Seidemann wurden Ende April 1942 zusammen mit circa 65 weiteren Bochumer Juden nach Zamość deportiert. Aus diesem Transport gab es keine Überlebenden, die meisten wurden in den Gaskammern Sobibors ermordet.
Die Eheleute Paul und Clothilde Schüler pflegten bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten einen großbürgerlichen Lebensstil. Paul Schüler war Bankier gewesen, doch das Bankhaus Hermann Schüler musste bereits 1932, auf Grund von Zahlungsschwierigkeiten hervorgerufen durch die Weltwirtschaftskrise, Konkurs anmelden. Darüberhinaus waren die Schülers aber auch Kunstsammler*innen gewesen und besaßen unter anderem Gemälde von Nolde und Liebermann und sogar von Picasso. 1941 beschlagnahmte die Gestapo sämtliche Bilder der Schülers. Im Jahr 1939 waren sie gezwungen, enteignet und verarmt, in das Haus in der Franzstr. zu ziehen. 1942 wurden die Schülers über Dortmund nach Riga deportiert. Ihre Tochter Gerda Emma Windmueller erklärte die Eltern am 15. Februar 1956 für tot, im Oktober desselben Jahres wurde der Beschluss rechtskräftig.
Auch Dr. Wilhelm Rosenbaum und seine Gattin Berta hatten sich um eine Ausreise bemüht, allerdings nach Palästina. Die von der britischen Regierung verhängte Einwanderungssperre nach Palästina 1939 verzögerte die von den Rosenbaums bereits geplante Emigration. So hatte Wilhelm Rosenbaum den Verkauf seines Grundbesitzes bereits eingeleitet. Er bemühte sich zwar die Auflassung seines Hauses bis ins Jahr 1940 zu verschieben, aber vergebens. Die Stadt Bochum kam ihm nicht entgegen, die Auflassung des Hauses der Rosenbaums in der Bongardstraße erfolgte Ende September 1939. In das Haus in der Franzstraße 11 zogen die Rosenbaums vermutlich schon im November 1939, ihre Wohnung am Kaiserring 23 (das Haus in welchem auch die Familie Freudenberg gewohnt hatte) hatten sie auf Grund der geplanten Ausreise bereits aufgegeben. Über das weitere Schicksal von Wilhelm und Berta Rosenbaum ist nur bekannt, dass sie 1942 nach Osteuropa deportiert wurden – sie gelten als verschollen.
Über das Leben der Eheleute Julius und Luise Stern ist nur wenig bekannt. Auch sie hatten auswandern wollen, und auch ihnen wurde die Auswanderung versagt. Vermutlich wohnten die Sterns seit 1939 in der Franzstr. 11. Sie wurden 1942 deportiert, wohin ist unbekannt.
Weitere Bewohnerinnen des Hauses in der Franzstr. 11 waren: Rosa Kahn (deportiert und ermordet in Zamość), Nanny Kreide (deportiert, Ort und Schicksal unbekannt).
Geht man heute an dem Haus in der Franzstraße 11 vorbei, wirkt das Gebäude sehr unscheinbar – nur die fünf Stolpersteine auf dem Bürgersteig vor dem Haus erinnern noch an die traurige Geschichte des Ortes und die Schicksale der Bewohner*innen.
Weiterführende Literatur:
Schneider, Hubert : Die „Entjudung“ des Wohnraums – „Judenhäuser“ in Bochum. Die Geschichte der Gebäude und ihrer Bewohner, Berlin 2010.
/Luise Mohr