Der Dr.-Ruer-Platz in Bochum ist wohl einer der zentralsten und bekanntesten Plätze in der Bochumer Innenstadt. Auf ihm finden der Wochenmarkt und der Weihnachtsmarkt statt, aber auch Demonstrationen und Mahnwachen. Auf dem Weg zur Sparkasse, zu den Cafés auf dem Platz oder in Richtung Kortumstraße wird der Dr.-Ruer-Platz täglich von zahlreichen Bochumer:innen überquert. Die Gedenktafel in der Mitte des Platzes findet dabei bei den meisten von ihnen wohl weniger Beachtung. Sie ist Dr. Otto Ruer gewidmet, der von 1925 bis 1933 Bochums Oberbürgermeister war und von den Nationalsozialisten unter falschen Anschuldigungen aus dem Amt und in den Tod getrieben wurde. Als Oberbürgermeister hatte Dr. Ruer die Entwicklung der Stadt Bochum, wie wir sie heute kennen, entscheidend mitgestaltet; seine Absetzung gibt Einblick in eine Stadt, die zunehmend von Nationalsozialismus und Terror geprägt war. Deshalb ist es wichtig, Dr. Otto Ruer und seine Geschichte zu kennen und ihn im kollektiven Gedächtnis unserer Stadt und Region zu bewahren.
Otto Ruer wurde am 5. Januar 1879 als jüngstes von drei Kindern einer gutbürgerlichen jüdischen Familie in Münster geboren. Er studierte Rechtswissenschaften in Kiel, Berlin und Heidelberg und promovierte 1900 zum Dr. jur. an der Universität Rostock. Im Jahr 1907 wurde als Rechtsanwalt am Berliner Kammergericht zugelassen. Im Laufe seiner Karriere war er dann ab 1914 als Finanzrat in Kiel tätig und ab 1920 Ministerialrat im Reichsinnenministerium.
1924 wurde Dr. Ruer zum neuen Oberbürgermeister von Bochum gewählt, am 26. Januar 1925 fand die offizielle Amtseinführung statt. Damit war er vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten das letzte durch die Stadtverordnetenversammlung demokratisch gewählte Oberhaupt der Stadt. Trotz seiner Nähe zur Deutschen Demokratischen Partei gehörte er offiziell keiner Partei an. Als Oberbürgermeister realisierte er bedeutende Konzepte in den Bereichen des Sozialen, der Kultur, der Bildung und im verkehrspolitischen Bereich. Schon kurz nach seinem Amtsantritt bemühte sich Dr. Ruer um die Errichtung einer Verwaltungsakademie in Bochum, die am 31. Oktober 1925 als 2. Abteilung der Westfälischen Verwaltungsakademie in Münster eröffnet wurde. Drei Jahre später bezog die Akademie ein eigenes Haus in der Wittener Straße 61.
Ebenfalls zu Beginn seiner Amtszeit strebte Dr. Ruer die Zuordnung umliegender Gemeinden zur Stadt Bochum an. 1926 wurden Hordel, Bergen, Riemke, Altenbochum und Weitmar Teile der Stadt Bochum, womit diese 213.000 EinwohnerInnen zählte und zur zweitgrößten Stadt Westfalens wurde. Für Dr. Ruer war diese Neugliederung jedoch nur eine Notlösung. Zur Bildung eines einheitliches Wirtschafts- und Verkehrsraumes waren seiner Meinung nach weitere Schritte notwendig. Nach jahrelangen Verhandlungen mündeten Dr. Ruers Bestrebungen im „Gesetz über die kommunale Neuregelung des rheinisch-westfälischen Industriegebiets“, das am 29. Juli 1929 verkündet wurde. Dem Gesetz folgend wurden Laer, Werne, Gerthe, Somborn, Querenburg, Langendreer, Stiepel, Linden-Dahlhausen und der nördliche Teil von Winz der Stadt Bochum zugeordnet. Damit belief sich die Einwohnerzahl Bochums auf 325.000.
Die Eingemeindung stieß teilweise auf heftige Kritik, die unter anderem den Einzug von fünf Abgeordneten der NSDAP ins Bochumer Stadtparlament Ende 1929 begünstigte. Der Einfluss der NSDAP wuchs derweil in der Stadt. Bereits 1925 wurde das SA-Regiment Ruhr in Bochum gegründet. Bei den Reichstagswahlen 1930 wurde die NSDAP mit 17,6% zur viertstärksten Partei in Bochum gewählt. Die Stadt wurde zudem zur Gauhauptstadt von Westfalen-Süd ernannt.
Bereits Ende der 1920er Jahre wurde Dr. Otto Ruer als erfolgreicher demokratischer Kommunalpolitiker von Seiten der Nationalsozialisten angefeindet, was sich mit der Machtübernahme Adolf Hitlers 1933 verschärfte. Am 11. März 1933 wurde Dr. Otto Ruer nach Vorwürfen der unkorrekten Amtsführung, der Verschwendung von öffentlichen Geldern und der persönlichen Bereicherung seines Amtes enthoben und floh nach Berlin, wo er verhaftet wurde und in das Bochumer Amtsgefängnis überstellt wurde. Als er am 11. Mai aus der Haft entlassen wurde, hatten die Nationalsozialisten beispielsweise mit dem Parteienverbot und dem Aufruf zum Boykott gegen jüdische Geschäfte ihre Macht weiter ausgebaut. In Berlin versuchte Dr. Otto Ruer um seine Rehabilitation zu kämpfen, doch nur wenige Tage später bestimmten die Nationalsozialisten Dr. Otto Piclum zum kommissarischen Oberbürgermeister. Dieser wurde dann am 28. Juli 1933 zum neuen Oberbürgermeister gewählt.
Als der Bochumer Stadtrat das Dienstverfahren gegen Otto Ruer am 31. Juli einstellte und ihn rehabilitierte, war dieser bereits tot. In den Selbstmord getrieben, war er am 29. Juli 1933 durch eine sich selbst zugefügten Vergiftung gestorben. Der Dr.-Ruer-Platz in der Bochumer Innenstadt wurde 1959 nach dem ehemaligen Oberbürgermeister benannt. Die Gedenktafel in der Mitte des Platzes sollte eigentlich im Rahmen der Planung einer Neugestaltung des Platzes 1980 durch einen Obelisken (Steinpfeiler) ergänzt werden, der die Platten optisch hervorheben sollte, was dann jedoch nicht realisiert wurde. Ebenfalls wurde zum Gedenken Dr. Ruers im Mai 2005 ein Stolperstein auf dem Bochumer Rathausplatz eingelassen.
/Janina Schäuffele
weiterlesen:
- „Porträt von Dr. Otto Ruer“ auf der Website der Stadt Bochum: bochum.de/Zeitgenoessische-Portraets-Maenner/Otto-Ruer.
- Gesetz über die kommunale Neugliederung des rheinisch-westfälischen Industriegebiets, Preußische Gesetzsammlung, Nr. 21, 31. Juli 1929, zur Verfügung gestellt vom LWL-Instituts für westfälische Regionalgeschichte (Internet-Portal „Westfälische Geschichte“), abrufbar unter lwl.org/westfaelische-geschichte/que/normal/que4602.pdf.
- Plieg, Ernst-Albrecht: Dr. Otto Ruer. Oberbürgermeister von Bochum 1925-1933, Berlin 2013.